Freitag, 3. Juli 2009

Wie immer kommt alles anders als man denkt...

Hallo!

Mehr als eine Woche her dass ich mich gemeldet habe, der Grund geht in etwa aus dem Titel hervor. Wie immer versucht man sozusagen ohne Erwartungshaltung in ein fremdes Land zu gehen, wie immer gelingt es in Wahrheit nicht, und am Schluss ist es ganz anders als man es sich vorgestellt hat - aber meistens ist es deshalb umso besser!

Und genauso ist es auch diesmal wieder. Ich dachte ja, in einem Studentenheim untergebracht zu sein - stimmt nicht. Ich lebe bei einer Gastfamilie - wie gesagt, sehr genial weil ich so die Kultur noch viel intensiver kennenlernen kann, ich haetts vielleicht trotzdem gern gewusst und ein entsprechendes Gastgeschenk mitgebracht - so mussten halt meine mitgenommen Schokoladenreserven dafuer herhalten.

Es ist inzwischen schon einiges passiert, ich werde versuchen ein paar Eindruecke hier zu teilen:

Also - wo beginnen. Vielleicht bei der Familie: Es ist eine fuenfkoepfige Familie: Mutter (Hebamme mit eigener Praxis im Haus, wo auch Geburten, Beschneidungen etc durchgefuehrt werden), Vater (Lehrer am Kolleg), Bruder (Medizinstudent im 5ten Jahr), Schwester (Medizinstudentin im 2ten Jahr), kleine Schwester (goldiges Maederl, lernt traditionellen Tanz, anfangs voll schuechtern, jetzt voll der Schlingel, echt lieb! ). Fuenf Leute sind aber nie im Haus, es sind immer deutlich mehr, abgesehen von der Bedienerin sind da stets noch weitere Leute, und eigentlich wissen wir (= ich und Caroline, die franzoesische Studentin die auch hier wohnt) nicht so genau, wer das alles ist (weitere Bedienerinnen? Grosseltern? Onkeln? Tanten? Nichten? Neffen? Freunde? Wohl alles davon...)

Das Haus besteht im Erdgeschoss in erster Linie aus einem grossen Wohnzimmer mit grossem Lichthof (sagt man das so?) bis in den ersten Stock, am Rande dessen die Stiegen hinauf gehen. Rund um den Lichthof im ersten Stock ist ein Gang mit Gelaender (man schaut also ins Wohnzimmer hinunter), von dort aus gelangt man in die Schlafzimmer. Das Wohnzimmer ist von einem grossen Flatscreen dominiert, rundum stehen Couch und Sesseln, weiters die Essecke, die Kueche ist auch ohne Abtrennung erreichbar, und ein Vorraumbereich. Alles wirkt sehr schoen und neu, Fliesenboeden mit Teppichen, die Farben in Cremetoenen. Bei uns waere das eine eher gehobene Unterkunft, auch die Gegend in der das Haus steht ist keine Nobelgegend und alle umstehenden Haeuser sind deutlich einfacher und weit nicht so schoen. Gehobene Mittelklasse wuerde ich sagen.

Die Schlafzimmer haben keine Klimaanlage (es ist verdammt heiss hier) aber dafuer jeder sein eigenes Badezimmer. Diese verdienen einen eigenen Absatz. Badezimmer in Indonesien heisst ein Nassraum wo meistens ein Loch-im-Boden-Klo, manchmal ein westlicher "Thron" ist, und immer findet sich daneben ein etwa 1x1x1m grosser gefliester Wasserbehaelter, der mit reinem Wasser gefuellt ist, darueber ein Wasserhahn zum Nachfuellen. Auf dem Rand steht eine Kelle, mit der man das Wasser entnehmen kann, um damit das Klo zu spuelen, die Zaehne zu putzen, sich zu duschen (natuerlich ist am Boden ein Abfluss), und sonst auch alles. Das heisst Dusche in dem Sinne gibts eigentlich nicht. Klopapier uebrigens auch nicht. Das bedeutet, in einem Land wie Indonesien ist es falsch zu sagen "Die linke Hand gilt als unrein" - die linke Hand IST unrein, denn was soll man denn machen. OK ich hab mir natuerlich Klopapier besorgt, aber man kann sich sicher sein, dass einen Montezumas Rache (oder das indonesische Aequivalent davon) dann trifft, wenn man dieses nicht dabei hat. Z.b. im OP Bereich, wo es genau so ablaueft. Wie man diese Situation ohne Klopapier und vor allem ohne Handtuch loesen soll, war und ist mir nicht klar, es ist mir aber dennoch ohne hygienisches Debakel einigermassen gelungen. Darauf bin ich stolz.

Mein Zimmer teile ich mit Buja, dem Gastbruder - man kann sich kaum einen gastfreundlicheren Menschen vorstellen, es grenzt schon an Demut. Dieser Mensch laesst mir trotz heftigster Widerrede meinerseits sein DOPPELbett (das man ohne weiteres haette teilen koennen, es ist gross genug) und schlaeft selbst einen Monat auf einer Matratze am Boden. Er wuerde auch nie etwas sagen, egal was ich tue - was insofern schwierig ist, als dass ich natuerlich versuche, ihn sowenig wie moeglich in seinem eigenen Haus einzuschraenken. Nachdem er mir jeden Morgen den Vortritt ins Bad laesst, ist hier also Eile angebracht, um ihn nicht aufzuhalten. Das bedeutet der Wecker laeutet um 6 Uhr, ich versuche innerhalb von 5 Minuten im Badezimmer zu stehen und mir 10 Kellen kaltes Wasser ueber den Kopf zu schuetten, nach weiteren 5 Minuten bin ich fertig (und so geht sich alles in der Frueh noch so einigermassen aus). Ich muss allerdings sagen dass dabei so ein bisschen ein Bundesheer Feeling aufkommt....

Das Essen ist meist delizioes, manchmal extrem grausig, immer scharf. Langsam lerne ich was ich bestellen muss (und was nicht) und so beginne ich, die Kulinarik richtig zu geniessen. Es gibt aber zu jeder Mahlzeit (auch Fruehstueck) grundsaetzlich Reis (Gottseidank bekommen wir wenigstens zum Fruehstueck manchmal Toast), sodass ich schon jetzt voraussagen kann, irgendwann irrsinnigen Heisshunger auf irgendein westliches Essen zu bekommen. Wahrscheinlich stuerme ich dann McDonalds oder KFC, die man hier auch findet - hoffentlich reichts dass ich nur in einem indonesischen Restaurant den empfohlenen Burger mit Pommes esse - das waere sozusagen ein Kompromiss.

Das Spital ist aufgrund der Erdbebengefahr (ein kleines hatten wir schon) ebenerdig und ueber viele Gebaeude verteilt, die durch ueberdachte Gaenge verbunden sind. An der Chirurgie (mit 8 departments) sind ueber 90 (!) Studenten, es ist ziemlich ueberfuellt in der Hinsicht. Bei der Visite heute waren gezaehlte 17 Studenten - ohne uns inzwischen 4 Austauschstudenten. Die Studenten sind hier ganz anders eingespannt als bei uns. Die letzten zwei Jahre sind sie praktisch nur am Spital, wo sie 6 Tage die Woche von 7 bis 2 arbeiten, dazu kommt noch etwa ein Nachtdienst pro Woche. Verdienen tun sie natuerlich nix dabei. Die Medizin selbst hier ist von gutem Standard, nur die Bausubstanz und die Betten etc lassen zu wuenschen uebrig. Hygiene ist OK, im OP alles nach normalen Standards, wirklich nicht sehr anders als bei uns, nur die Krankheiten sind weit extremer als bei uns. Tumoren die man bei uns nur aus dem Textbuch kennt sind hier taegliche Realitaet. Ein Brusttumor so gross wie die ganze Brust, exulzerierend, grauslich. Heute sahen wir ein Maedchen, dass unter dem Mundschleier einen Tumor hatte, der die gesamte Mundhoehle ausfuellt, etwa so gross wie ein Golfball, vielleicht ein bisschen groesser. Wie sie essen kann ist mir ein Raetsel. Die Operation wird auf jeden Fall interessant. Erst gestern sahen wir einen Lungenabszess der die gesamte rechte Lunge verdraengt hat, vermutlich Tuberkulose. Nach der Ausraeumung hat sich die Lunge wieder langsam mit jedem Atemzug ausgedehnt, bis sie wieder fast Normalgroesse erreicht hat - faszinierend zu sehen!!

Die Stadt Padang selbst ist nicht aufregend. Beeindruckend ist nur wieviel Verkehr es hier gibt, es ist kaum zu glauben. Jeder macht alles mit Auto oder vor allem Motorrad/Moped. Die Anzahl von motorisierten Zweiraedern spottet jeder Beschreibung. Der Verkehr selbst folgt keinen Regeln, jeder faehrt wie er will, es funktioniert aber! Liegt wohl daran dass jeder gezwungen ist aufzupassen. Wenn also zwei Autos frontal aufeinander zukommen an einer Ampel die fuer beide Rot ist, einer biegt rechts ab (es ist hier Linksverkehr) und der andere faehrt gerade, dann rollen beide unbeirrt mit 10 km/h aufeinander zu, bis eine Kollision unausweichlich ist wenn nicht einer von beiden stehenbleibt. Meistens bleibt der geradeausfahrende stehen und gibt den Vorrang ab. Der Querverkehr, der ja eigentlich gruen haette, bleibt meistens sowieso stehen.

Besonders sind auch die Opelet, Minibusse. Minibus-Systeme gibts ja ueberall, bemerkenswert ist dass es scheint, als haetten sie alle kollektiv einen Auftritt bei Pimp My Ride gewonnen. Also getuned ist gar kein Ausdruck. Die Minibusse sind alle tiefergelegt, rundum mit Schuerzen bis zum Boden ausgestattet, in grellen Farben bemalt (das zeigt die Route an) und verziert wie ein Rallyeauto, mit Startnummern, Werbeaufschriften (Castrol, Zakspeed, alles irgendwie Auto-related), und dann kommen erst die Extras: Breite Reifen, dicker Auspuff, Hupen in allen Formen, Groessen und Klaengen, zusaetzliche Lichter, Paris-Dakar-maessige Motorlueftungen, boeser Blick sowieso. Steigt man ein, riskiert man einen Tinnitus, denn die gesamt Rueckwand ist ein Subwoofer und der Grossteil aller anderen Flaechen ist von Lautsprechern bedeckt, die auf voller Lautstaerke zeigen was sie koennen. Dass der Fahrer in einem Schalensitz mit Sportlenkrad und Schaltung etc sitzt faellt gar nicht mehr auf. Es ist ein Erlebnis.




Was ich aber erst so langsam wirklich realisiere, ist wie schoen es eigentlich hier ist. Der Clou besteht darin, aus der statt herauszukommen. Der Strand von Padang ist ein Anfang, mit dunkelbraunem Sand und Palmen kann man dort den Sonnenuntergang geniessen. Am Sonntag machten wir aber einen Ausflug auf Pulau Sikuai, eine Trauminsel vor Padang - ein Paradies! Sandstrand mit Palmen, den wir praktisch nur fuer uns allein hatten, Azurblaues und tuerkises Meer, eine sanfte Brise - fast schon kitschig. Es ist wirklich so wie man es sich in seinen Inselphantasien ausmalt, wirklich extrem schoen.


Ein Wort will ich noch verlieren ueber die Indonesier, die wirklich praktisch alle extrem nett und aufrichtig freundlich ist. Im Spital wird man sowieso von jedem angesprochen und willkommen geheissen, jeder will einem helfen sich zurechtzufinden, man fuehlt sich ausgesprochen willkommen. Aber auch auf der Strasse ist man was besonderes, wird staendig angesprochen, aber kaum belaestigt. Besonders beeindruckend finde ich es, dass man bei einem Stand an einem Artikel Interesse zeigen kann, und trotzdem weiter darf, ohne den Artikel zu kaufen. Sie laecheln sogar beim Verabschieden, selbst wenn man denselben Artikel am Nachbarstand kaufen wuerde. Die schon fast sprichwoertliche Freundlichkeit der Asiaten zeigt sich hier in voller Staerke (gut, in Touristenregionen ist es sicher schlimmer, aber hier kommt ja kaum wer her), und in Punkto Gastfreundlichkeit sind die Indonesier in meinem begrenzten Erfahrungsschatz unuebertroffen! Also man macht eigentlich nur positive Erfahrungen!

Na gut - das war mal ein erster Eindruck von dem Land hier - hoffe es hat Spass beim Lesen gemacht. Den Regenguss haben wir jetzt ueberdauert, jetzt wirds wohl weitergehen! Bis bald,

LG

Kay

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